Transgenerationale Erinnerungen
Für die Untersuchung transgenerationaler Erinnerungspraxen und Übertragungsprozesse in der Kunst spielen zwei Entwicklungen in der kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung eine herausragende Rolle. Zu beobachten ist erstens die Ausformung einer gedächtnis- und transgenerational orientierten Generationssemantik, die eine Alternative zum ‹klassischen› soziologischen Generationenbegriff darstellt. Zweitens findet seit den 1990er Jahren eine Europäisierung des kulturellen Gedächtnisses statt, das heisst es passiert nach und nach eine strukturelle Angleichung ‹ost-› und ‹westeuropäischer› Geschichtsbilder an gesamteuropäische und kosmopolitische Bezüge.
Seit das Konzept der «Postmemory» (frz. postmémoire) der Literaturwissenschaftlerin Marianne Hirsch für die Übertragung von traumatischen Erinnerungen an Nachfolgegenerationen Verbreitung fand, sind generationale Selbstverständnisse nicht zuletzt auch von inter- und transgenerationalen Übertragungen mitgeprägt. Im Kontext des Themenfelds Transgenerationale Erinnerungen soll das Konzept der «Postmemory» aus dem Holocaust- und familiär verfassten Kontext gelöst und mit der größten Herausforderung gegenwärtiger Gedächtnisforschung verknüpft werden: der verstärkt kosmopolitischen, aber auch selektiven Erinnerung an den Kalten Krieg, die sich zunehmend intermedial und in digitalen Genres manifestiert. Fragen, die im Zusammenhang künstlerisch-historiografischer Praktiken relevant werden, sind: Wie lässt sich der Zusammenhang zwischen hegemonialen Geschichtsbildern und künstlerischen Arbeiten, die sogenannte «alternative Gegenwarten» aufzeigen, beschreiben? Was passiert, wenn Geschichten performativ und im Sinne einer «digitalen Erinnerung» inszeniert statt rekonstruiert werden? Auf welche Weise bilden sich transgenerationale Dialoge in der konzeptuellen Struktur historiografischer Arbeiten ab?